Fazit: Die Augenhöhe-Veranstaltung hat inspiriert und zum Nachdenken angeregt

Die Film- und Dialogveranstaltung „Augenhöhe“ vom 26.05.15 in Bielefeld war ein toller Erfolg. Ich denke, es ging allen Beteiligten wie mir. Ich habe inspirierende Diskussionsrunden erlebt, spannende Menschen kennengelernt und Einblicke in verschiedene Unternehmenswelten bekommen. Fragen, Eindrücke und Gedanken, die in der abschließenden Diskussion aufgeworfen wurden, habe ich nun für eine kleine Rückschau sortiert.

 

Karin Volbracht, Trainerin im Auftrag des imeEinen herzlichen Dank möchte ich an dieser Stelle noch einmal an unsere Trainerin Karin Zintz-Volbracht richten, die das „Augenhöhe“-Projekt von der ersten Stunde an in der Kommunikations-und Medienarbeit unterstützt hat. Sie konnte wertvolle und wenig bekannte Hintergründe des Films beleuchten. Die abschließende Frage- und Diskussionsrunde wurde von ihr moderiert. Zudem hat sie für den folgenden Bericht die zwei Punkte „Wie fängt man damit an?“ und „Lassen sich die verschiedenen Ansätze in dem Film „Augenhöhe“ auf eine Formel bringen?“ beigesteuert.

 

Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Mit dieser Frage hat Karin die Abschlussrunde eingeläutet. Die Teilnehmer waren nun gefordert. In zahlreichen Wortbeiträgen wurden Gedanken zum Film geteilt. In der Wordcloud habe ich einmal die Schlagworte verdichtet, die mir in Erinnerung geblieben sind. Ich denke, dass die Tags einen guten Überblick der Arbeitsrealitäten bieten, die im Film  beschrieben werden. Augenhöhe-Veranstaltung in Bielefeld - freie Assoziationen

Das Fazit eines Teilnehmers fiel so aus: Die im Film gezeigten Unternehmen pflegen eine Kommunikation, die auf Kontrolle und Normierung verzichtet. Die dabei freigesetzte individuelle Energie ermöglicht erst den Unternehmenserfolg! Treffender kann man meines Erachtens die neue Arbeitswelt kaum beschreiben.

 

Wie fängt man damit an?

Karin Zintz-Volbracht: „Mit einer Entscheidung! Mit der Entscheidung, erstmal genau hinzuschauen, wo die Gestaltungsmöglichkeiten jeweils liegen. Beim gemeinsamen Blick auf den Alltag, auf Strukturen, auf Entscheidungsprozesse und die Kommunikation im Betrieb, lassen sich meistens schnell Felder für die ersten Schritte identifizieren. Diesen genauen Blick kann man meiner Ansicht nach auch erstmal in einem Team oder in einer Abteilung wagen – und dann schauen, was dort an Veränderungen gut funktioniert.

Viele Unternehmen und Organisationen fangen allerdings nicht unbedingt „freiwillig“ damit an, sondern weil sie nachhaltige Lösungen für ihre Probleme suchen. Denn schließlich müssen die Ergebnisse stimmen: Wirtschaftlichkeit, Qualität, Kundenorientierung oder die ständige Anpassung an neue Anforderungen des Marktes sind wichtige Felder. Im Personalbereich geben häufig eine hohe Fluktuation oder Schwierigkeiten im Recruiting den Anstoß zu Veränderungen. Denn gerade die hoch qualifizierten Mitarbeiter werden immer wählerischer und lassen sich nicht mehr von hohlen Leitbildern oder einem schicken Oberflächen-Marketing als Arbeitgeber locken.“

Augenhöhe-Veranstaltung in Bielefeld - Disukssion

Lassen sich die verschiedenen Ansätze in dem Film „Augenhöhe“ auf eine Formel bringen?

Karin Zintz-Volbracht: „Die Zauberformel gibt es leider nicht. In Beratungsprozessen können wir auch keine Knöpfe zeigen, auf die man einfach drücken kann, im besten Fall noch per Fernbedienung vom Chefsessel aus. Der Film zeigt sehr schön, dass jedes Unternehmen, jede Organisation ganz eigene Wege gefunden hat, um die Arbeit erfolgreich und lebenswert zu gestalten. Da gibt es natürlich Modelle und sehr konkrete Ansätze. Der Belgier Frédéric Laloux hat meiner Ansicht nach in seinem Buch „Reinventing Organisations“ (das gerade auf Deutsch erschienen ist) sehr schön auf den Punkt gebracht, was die von ihm untersuchten, sehr erfolgreichen Pionierunternehmen gemeinsam haben. Das sind drei große Bereiche, die sich auch in dem Film erkennen lassen:

  1. Eigenverantwortung: Keine Macht im Sinne von einsamer Duchsetzung gegen hohen Widerstand sondern konsultative, gemeinsame Entscheidungsverfahren.
  2. Ganzheitlichkeit: Den ganzen Menschen mit seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen sehen und einbeziehen – und nicht nur den Funktionsträger.
  3. Evolutionäre Entwicklung: Das bedeutet, keine Planstrategie auf Biegen und Brechen durchzuziehen, sondern „agil“, Schritt für Schritt Dinge zu verändern, Märkte zu finden und die eigenen Energien und Ressourcen sinnvoll zu entwickeln und zu nutzen.

Das klingt eigentlich simpel, oder? Doch bedeutet das für viele Organisationen einen echten Kulturwandel.“

Was ist eigentlich neu an der Diskussion?

Nicht neu ist, dass sich politische Gremien mit diesem Thema beschäftigen. Christina Kampmann (MdB) bestätigte, dass die Diskussion, wo politische Rahmenbedingungen gefordert sind und wo Politik vielleicht gar nicht notwendig ist, noch nicht abgeschlossen ist. Wie ich finde, führt allerdings kein Weg daran vorbei, die Anschlussfähigkeit der new work Ideen an die Arbeitsrealität durch politische Leitlininen sicherzustellen. Beispielhaft seien nur die (veralteten) Bestimmungen zu Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen erwähnt.

Ein Teilnehmer führte weiter aus, wie sich der Diskussionsrahmen verändert hat. Gesellschaftlicher Wandel, Fachkräftemangel und betriebliche Gesundheitsförderung beeinflussen das Thema sehr viel stärker, als man es noch vor einigen Jahren vermutet hätte. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat schon 2002 die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) gestartet und Konzepte für Führung & Teamentwicklung, Handlungshilfen für die Reflexion von Führungsqualität oder der Besprechungskultur erarbeitet. „Augenhöhe“ ist jetzt ein Thema, weil Unternehmen immer mehr spüren, dass die weichen Faktoren moderner Unternehmensführung Einfluss auf Personal und Qualität, Nachwuchs und Fachkräftemangel hat. Neu ist auch, dass es einen Film mit für sich sprechenden Beispielen zum Thema gibt.

 

Wie kann es jetzt weitergehen?

In diesem Jahr sind deutschlandweit noch viele weitere Film- und Dialogveranstaltungen geplant. Das Interesse ist also nach wie vor ungebrochen. Die emotionalen und authentischen Bilder des Films werden bei dem Einen oder Anderen vielleicht eine Sehnsucht nach einer „besseren“ Arbeitswelt auslösen. Festzuhalten bleibt aber, dass es an jedem selbst liegt, für eine andere Arbeitswelt einzutreten. Die Veränderung kann von den Führungskräften in den Unternehmen ausgehen. Erfolgreich und nachhaltig wird es aber erst, wenn jeder Mitarbeiter in seiner Funktion, an seiner Stelle für mehr Menschlichkeit in der Wirtschaft eintritt. Jeder hat es in der Hand, Verhalten und Kommunikation so anzupassen, das echte Augenhöhe gelingt und ein offenes, faires und ehrliches Miteinander verwirklicht wird. Unterstützung, Austausch oder thematischen Input findet man zum Beispiel in lokalen Initiativen wie der Xing-Gruppe Augenhöhe OWL.

Wissensarbeit im 21. Jahrhundert

Unter dem Begriff new work wird momentan eine breite Diskussion zu innovativen Ansätzen der Arbeitsgestaltung geführt. Der Blog the-new-worker hat passend zum Thema eine Blogparade initiiert, an der ich mich gern beteilige. Leitfrage der Blog-Aktion ist: „Wie sieht die perfekte Arbeitsumgebung für Wissensarbeiter aus?“

 

Der Begriff Wissensarbeiter (knowledge worker) ist erstmals 1959 von Peter Drucker benutzt worden. Er verstand darunter beruflich tätige Menschen, die nicht für eine manuelle sprich körperliche Arbeit entlohnt wurden, sondern für die Anwendung ihres erworbenen Wissens. Heute besitzen wir ein sehr viel stärker differenziertes Bild dieser Gruppe. Das macht es meines Erachtens auch so schwierig, die perfekte Arbeitsumgebung für Wissensarbeiter zu beschreiben. Die Ansprüche an dieselbige sind einfach zu heterogen.

 

Deshalb lege ich kurz dar, was ich darunter verstehe. Nach wie vor hat für mich die Druckersche Devise Gültigkeit. Hinzu kommt, das meines Erachtens damit eine zeitlich und örtlich ungebundene berufliche Tätigkeit verbunden ist. Die Qualität dieser Arbeit wird nicht an der mit ihr verbrachten Zeit beurteilt, sondern am Ergebnis bewertet.

 

Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt werden?

  1. Wissensarbeiter brauchen Zugang zu allen relevanten Daten, die sie für die Erreichung des Arbeitsziels benötigen. Kundendaten, Literatur, Statistiken oder sonstige Arbeitsmaterialien liegen deshalb in einer Datencloud vor. Jeder Mitarbeiter kann damit unabhängig vom Sitz des Unternehmens seine Arbeitsaufträge erfüllen.
  2. Wir brauchen ein neues Arbeitsverständnis. Denn machen wir uns nichts vor: In einem großen Teil der Unternehmen wird die Arbeitszeit mit der Anwesenheit im Büro gleichgesetzt. Wissensarbeit ist aber nicht immer sichtbar. Und wenn sie dann nicht mehr im Büro sondern in der eigenen Wohnung, im ICE oder im Garten stattfindet, geht damit ein Kontrollverlust einher. Zwischenmenschliches Vertrauen, prozessgebundene Ergebnisorientierung sowie eine digitale, transparente und direkte Feedback-Kultur sind deshalb unverzichtbare Elemente der Unternehmenskultur.

 

Wie sieht sie aus, die neue Arbeitsumgebung für Wissensarbeiter?

Ich denke eins wird deutlich: Hat der Arbeitgeber die Voraussetzungen für Wissensarbeit im 21. Jahrhundert geschaffen, ist der individuelle Gestaltungsfreiraum des Mitarbeiters über die Arbeitsumgebung sehr hoch. Jeder hat Wohlfühlräume, in denen er besonders gut Konzentration aufbauen und Projekte zielstrebig vorantreiben kann. Diese aufzusuchen, steht jedem offen. Für mich zählen zum Beispiel die Leseräume von Bibliotheken dazu. Die betriebsame Stille bringt mich in einen Workflow, in dem ich effizient und effektiv arbeiten kann.

 

Auch die Arbeitsräume in den Unternehmen werden sich verändern. Denn wenn nicht mehr alle Mitarbeiter zu einem bestimmten Zeitpunkt anwesend sind, werden auch weniger feste Arbeitsplätze benötigt. Flexible Lösungen, die platzsparend gelagert werden  und bei Bedarf schnell anwendungsbereit sind, bieten Einsparpotenziale für Unternehmen und entsprechen der neuen Arbeitskultur. Die Munich Re hat beispielsweise vor ihrem Umzug errechnet, dass die verschiedenen Arbeitsplätze in 50 Prozent der Zeit unbesetzt sind und dies in ihre Planungen einbezogen. Mindestens ebenso wichtig werden aber Arbeitsflächen, die zum gemeinsamen Arbeiten anregen und eine offene Kommunikation ermöglichen.

 

Zu guter Letzt: Der Arbeitsplatz an sich wird digital. Dafür benötigen Unternehmen digitale Workspaces, auf denen alle Mitarbeiter vertreten und ansprechbar sind. Dieses virtuelle Unternehmen wird den persönlichen Kontakt zwischen den Mitarbeitern ergänzen und erweitern. Es dient sowohl dem Austausch von Informationen als auch dem der persönlichen Kontaktpflege. Dienste für Kurznachrichten, Besprechungen oder face-to-face-Konversationen werden über Apps eingebunden. Arbeitsprozesse und Entscheidungsfindungen werden transparent. Feedback erfolgt direkt und zielgenau. Zudem wird auf der Plattform unternehmensinternes Wissen gespeichert, geteilt und entwickelt.

 

Update vom 15.06.15

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