„Führen in Veränderungsprozessen, heißt vor allem mit kollektiven Emotionen umzugehen“

„Wir müssen die Mitarbeiter mitnehmen.“ Diesen Satz hört man häufiger, wenn Vorstände oder Geschäftsführer über die Veränderungen in ihren Unternehmen sprechen. Kann es sein, dass das Gelingen oder Scheitern eines Change-Prozesses überwiegend am Mitarbeiter festgemacht wird?

Heidrun Vössing: Ich habe bei meinem letzten Beratungsauftrag von der Geschäftsführung des Unternehmens die Aussage gehört: „Wir nehmen jeden mit in diesem Veränderungsprozess, der den Weg mitgehen will“. Das finde ich klarer. Denn so wird deutlich, dass Wandel gestaltet werden kann und das Vorgehen noch offen ist. Viel wichtiger für einen gelingenden Change-Prozess ist eine professionelle Change-Kommunikation.

Wie sieht eine gelungene Kommunikation aus?

Es geht darum die Dringlichkeit und Notwendigkeit des Wandels verständlich zu kommunizieren, und zwar ohne Angst und damit Lähmung zu erzeugen. Meistens wird aber darüber gesprochen, was nicht mehr sein soll, was alt oder überholt ist. Das verunsichert.

Warum ist Verunsicherung in solchen Situationen nicht förderlich?

Heidrun Vössing: Unerwartete Veränderungen werden oft als bedrohlich erlebt, weil wir sie nicht richtig einschätzen können und unseren Einfluss auf sie unterschätzen. Unser psychisches Grundbedürfnis nach Orientierung und Kontrolle wird verletzt – und da ist Angst nun mal eine ganz normale Reaktion.

Ist Angst der größte Feind des Change-Managers?

Change-Prozesse können eher unangenehme Emotionen wie Angst, Wut oder Trauer auslösen als angenehme Emotionen wie Freude, Stolz, Neugierde oder Begeisterung. Ein Change-Manager wäre meines Erachtens nicht gut beraten, wenn er die Angst der Mitarbeiter oder gar seine eigene Angst als Feind betrachten würde. Einen Feind möchte man ja besiegen, aber Angst lässt sich nicht besiegen sondern bestenfalls transformieren.

Braucht es im Change ein Ängste-Management?

Es braucht einen professionellen Umgang mit Emotionen. Es ist längst bekannt, dass die technischen, strukturellen Aspekte, also Management-Faktoren keine so große Rolle in Change-Prozessen spielen. Die Emotionen aller Beteiligten beeinflussen den Veränderungserfolg oder eben auch den Misserfolg viel stärker. John Kotter, einer der weltweit führenden Experten zum Thema Change sagt sogar, „Im Wandel hilft kein Manager“.

Was tritt an Stelle des Managements?

Managen und Führen sind ja zwei unterschiedliche Ansätze. Management bezieht sich auf Planung, Budgetierung, Controlling also auf Ordnung und Beständigkeit. Im Wandel ist aber Leadership gefragt. Change Leadership bedeutet, eine Vision zu vermitteln und ein Sinnangebot zu unterbreiten, Richtung und Orientierung vorzugeben. Souveräne Führung in Veränderungsprozessen heißt professionell mit kollektiven Emotionen umzugehen, zu begeistern und zu inspirieren.

Wie können Führungskräfte das realisieren?

Zunächst geht es für die Entscheider und Führungskräfte darum, einen guten und echten Umgang mit ihren eigenen Gefühlen zu entwickeln und die emotionale Selbstkompetenz zu stärken.

Was bedeutet emotionale Selbstkompetenz?

Führungskräfte sind Orientierungsanker. Kollegen und Mitarbeitende schauen dahin und fragen sich „Wie geht es meinem Chef eigentlich mit der Veränderung?“ Tritt die Person enttäuscht, genervt oder zweifelnd auf, überträgt sich das auf die Anderen. Emotionen sind über Spiegelneuronen „ansteckend“.

Welches Vorgehen empfiehlst du Führungskräften?

Wer mit Emotionen professionell umgehen will, muss sie auch erst einmal wahrnehmen. Es geht zunächst darum, aufmerksam zu registrieren, was sozial und stimmungsmäßig im eigenen Umfeld geschieht. Das fällt natürlich leichter, wenn man die Gefühle der Menschen „lesen“ kann. Diese Fähigkeit kann trainiert werden, indem man aktiv hinhört; versucht zu verstehen, ohne gleich zu erklären und zu bewerten; und den Gefühlen einen Raum gibt, ohne sie zu verstärken. Das nennt man „emotionales Pacing“. Und emotionales Leading bedeutet Menschen von einem emotional schlechten Zustand in einen guten Zustand zu führen, indem man sie beispielsweise ermutigt und unterstützt.

Heidrun, vielen Dank für das Interview.

Heidrun Vössing, Trainerin im Auftrag des imeHeidrun Vössing blickt auf über zwanzigjährige Erfahrungen im Training und Coaching zurück. Sie ist Lehrtrainerin und Lehrcoach (DVNLP) und Expertin für die Themen Persönlichkeitsentwicklung und Führung. Für das ime bietet Sie unter anderem das Seminar „Souverän und agil führen in Veränderungsprozessen“ an.

Let it GROW – Leitfaden für ein Entwicklungsgespräch

Führung bedeutet heute, die richtigen Fragen zu stellen, zuzuhören und Unterstützung anzubieten. Das sieht man auch im Silicon Valley so. Google veröffentlicht auf der Plattform re:Work Handreichungen, mit denen die Führungskräfte des Konzerns die Zusammenarbeit im Team und das individuelle Leistungsvermögen der Teammitglieder positiv beeinflussen können. Unter anderem wird hier auch ein Leitfaden für Entwicklungsgespräche (in englischer Sprache) vorgestellt. Eine Vorlage mit Beispielen für Sie und Ihren Gesprächspartner können Sie am Ende des Blogartikels herunterladen.

Sind solche Gespräche in Zeiten von Teamwork und Agilität überhaupt das richtige Werkzeug zur Mitarbeiterentwicklung?

Ja! Die Idee, regelmäßige und strukturierte Impulse zur Mitarbeiterentwicklung zu geben, ist nicht per se falsch. Wir alle stimmen darin überein, dass Entwicklungsprozesse mal mehr, mal weniger gut laufen. Gerade in schwierigen Phasen können Unterstützungsangebote durch eine Person (in vielen Fällen die Führungskraft) hilfreich sein. Das setzt Timing und das richtige Gespür für die Situation voraus. Und muss natürlich in anderen Formen als einem überladenen Jahresgespäch stattfinden.

Ist die Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden auf einen Gesprächstermin im Jahr ritualisiert, liegt im Unternehmen an ganz vielen anderen Stellen etwas im Argen. Dann müssen wir uns nicht wundern, wenn Mitarbeitergespräche in der Schmuddelecke der Management-Tools landen.

Kontinuierliche Entwicklungsgespräche helfen Führungskräften dabei, Entwicklungschancen der Mitarbeiter zu erkennen, Unterstützung anzubieten und die Fähigkeiten der Mitarbeiter zu stärken. Dabei muss es nicht immer um Aufstiegschancen gehen. Führungskräfte können ihren Mitarbeitern auch alternative Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Die Übernahme einer gleichwertigen Rolle in einem neuen Team oder der Aufbau der Meinungsführerschaft zu einem Zukunftsthema setzen neue Impulse, die den Mitarbeiter fordern und fördern. Wie können solche Gespräche strukturiert werden? Der Leitfaden von Google ist einen Blick wert, weshalb ich ihn hier kurz vorstelle.

Potenziale entdecken, Talente erkennen, Mitarbeiter entwickeln – Leitfaden für effektive Entwicklungsgespräche

Google empfiehlt den Führungskräften bevor sie mit einem Mitarbeiter zum Entwicklungsgespräch zusammenkommen, eine eigenständige Einschätzung vorzunehmen:

  • Wie beurteile ich die Performance und deren Entwicklungsmöglichkeiten?
  • Welche Art von Arbeit macht der Mitarbeiter gerne?
  • Welche Art von Arbeit macht sie gut?
  • Mit was ist er gerade beschäftigt?
  • Wie kann sie dem Unternehmen helfen?
  • Wo sehe ich Entwicklungsmöglichkeiten?
  • Welche Art von Karriere will er?
  • Wie kann ich helfen, dass sie sich geschätzt fühlt?

Das eigentliche Entwicklungsgespräch wird dann nach dem GROW-Modell strukturiert. Mitarbeiter und Führungskraft bearbeiten in ihrer Sitzung die folgenden vier Aspekte:

  1. Goal: Was willst du?

    Stellen Sie fest, was das Teammitglied mit seiner Karriere wirklich erreichen möchte.

  2. Reality: Was passiert jetzt?

    Wie passen die Karrierevorstellungen zur aktuellen Rolle des Teammitglieds und seinen Fähigkeiten?

  3. Options: Was kannst du tun?

    Welche Möglichkeiten gibt es, Karrierevorstellung und Rolle zu vereinbaren?

  4. Will: Was wirst du tun?

    In welchen Schritten kann das Ziel erreicht werden?

Ein konstruktives und erfolgreiches Entwicklungsgespräch setzt eine aktive Teilnahme beider Personen voraus. Und weil es hier ja um die Karriere und Entwicklungsmöglichkeiten des Mitarbeiters geht, ist eine transparente Vorbereitung ein Muss. Die Leitfragen sollten für die eigene Vorbereitung allen teilnehmenden Personen zur Verfügung gestellt werden.

Für mich stellt die GROW-Methode eine gute Möglichkeit dar, Entwicklungsgespräche zielführend, regelmäßig und gewinnbringend durchzuführen. Wie gehen Sie bei der kontinuierlichen Unterstützung Ihrer Kollegen und Mitarbeiter vor?

Einen Leitfaden mit Beispielfragen für Sie und Ihre Mitarbeiter können Sie hier herunterladen. Gern können Sie die Arbeitsblätter für die Vorbereitung und Durchführung des Entwicklungsgesprächs nutzen.